Heute will ich gerade stehen – für mich selbst und andere

Heute will ich gerade stehen – für mich selbst und andere

Ich meiner Jugend hatte ich ein Problem. Ich war ziemlich dünn und hielt mich krumm. Dadurch wirkte ich einige Zentimeter kleiner als ich tatsächlich war. Optisch entsprach meine ganze Körperhaltung dem Wunsch, nicht aufzufallen. Weil mein Körper so an diese gebeugte Haltung gewöhnt war, erschien sie mir bequem. Es strengte mich tatsächlich an, meine Schultern zu straffen und die Brust herauszudrücken. Wenn ich es versuchte, konnte ich das immer nur kurze Zeit durchhalten. Ich kann mich an einen Jugendfreund von mir erinnern, den das sehr störte. Er präsentierte sich gänzlich anders – gerade, stark, unerschütterlich. Jedes Mal, wenn er mich sah, rief er: „Na los, Haltung bewahren!“. Mich störte das damals unsäglich. Dieser Körperdrill klang nach Kasernenhof. Außerdem schwang da für mich mit. „Na los, Maske auf – beweise Deinen Mitmenschen, dass Du nichts an Dich heranlässt und bewahre auch dann die Fassung, wenn Du innerlich aufgewühlt bist.“ Das konnte ich genauso wenig, wie meine Wirbelsäule zu vergewaltigen. Neulich traf ich diesen Freund wieder, der inzwischen beruflich und privat ein erfülltes Leben führt. Er war immer noch an seinem aufrechten, sicheren und raumgreifenden Gang zu erkennen. Nur verstand ich jetzt, wo ich mir selbst eine andere Körperhaltung angeeignet hatte, erst richtig, was er damals ausdrücken wollte: Mit „Haltung“ meinte er schon damals nicht, Gefühle zu verleugnen und die berühmte Contenance zu wahren. Er hatte eine andere Haltung im Sinn: „Wenn Dein Körper aufrecht durchs Leben geht, wird es Dein Herz auch tun. Deine äußere Haltung sagt viel über Deine innere Haltung, über Deine Werte und Deine Selbstachtsamkeit aus.“ Und da verstand ich, warum es meinen Muskeln inzwischen leicht fällt, mich gerade zu halten: Weil ich für das „gerade stehe“, was mein Gefühl mir sagt.

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Franz administrator

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