Ich kenne jemanden, der für seinen Universitätsabschluss 24 Semester benötigt hat. Davon 23 Halbjahre, in denen er sich einredete, die Abschlussarbeit sei wie ein Berg, den er nicht bezwingen könne. Wir alle stehen ab und zu vor solchen Bergen, die zu steil und zu hoch scheinen. Dann befällt uns schon vor dem Aufstieg eine eigenartige Krankheit: Die Aufschieberitis, oder in der Fachsprache: Prokrastination. Wir vertagen Pflichten, die uns unangenehm und lästig sind, und vertrösten uns auf die Zukunft, weil wir im Hier und Jetzt Angst vor dem Scheitern haben. Das würde uns nämlich noch stärker an uns selbst zweifeln lassen. Nach dem Motto: Alles, was ich nicht tue, kann auch nicht gegen mich verwendet werden. Eine gewisse Zeit verzeihen wir uns tägliche Unterlassungssünden. Fenster seit Wochen nicht geputzt, die Frist zur Steuererklärung schon zwei Mal verlängert, den Kontrolltermin beim Arzt mehrfach abgesagt. Das ist verzeihlich. Aber wenn wir selbst merken, dass wir uns nicht länger drücken können, sind wir meistens schon in einer Negativspirale gefangen. Der Berg an Arbeit ist noch größer geworden, und wir fühlen uns noch kleiner und machtloser. Um wieder Zutrauen zu gewinnen, hilft nur eins: Einen winzigen Schritt zu tun. Zunächst nur das dreckigste Fenster in Angriff nehmen, nur ein paar Unterlagen für die Steuer vorsortieren. Wenn wir das schaffen, geht da noch mehr. Jede Bergtour beginnt mit einem ersten Schritt, und mit kleinen, aber sicheren Schritten meisterst Du den Anstieg besser. So ging es übrigens auch dem “ewigen Studenten”. Er lieh sich ein einziges Buch aus. Als er es gelesen hatte, schrieb er seine Abschlussarbeit binnen drei Monaten.
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